Emmestrand (2022)

Von der Kehrrichtdeponie zum arkadischen Emmestrand

Projekt von Ulrich Studer, März 2018, geplante Realisierung 2019–2020 (Projektidee siehe unten)

Prolog

Das Flüssige als das Universelle…
Novalis beschreibt das Flüssige als das Universelle, das noch nicht festgelegte Element, das aber fähig ist, sich von aussen bestimmen zu lassen, als das Unbestimmte, aber Bestimmbare, als das «sensible Chaos».

Rückprall, Drehungen, Wendungen, Wälzungen, Wirbeln, Zurückspringen, Untertauchen, Hervorquellen, Abwärtsfliessen, Aufwärtsfliessen, Aushöhlungen, Verzehrungen, Aufschlagen, Herabstürzen, Fallen, Drängen, Strudeln, Zusammenstösse, Ausnagungen, Wellenschlagen, Kräuseln, Brodeln, Herabstürzen, Trödeln, Quellen, Fluten, Ausfliessen, Abtauchen, schlängelndes Rinnen, Murmeln, Rauschen, Stauungen Brandungen, Wucht und Wut, Zertrümmerungen, Schlünde, Uferhöhlungen, Wirbel, Abstürze, Niederprasseln, Toben, Wüten, stürmisches Stürzen, Ausgleichungen, Gleichheit, Furchung des Gesteins, Stösse, Brodeln, Überflutung der Oberflächen, gemächliches Fliessen, Brechungen, Spaltungen, Offnungen, munteres Eilen, Ungestüm, Raserei, heftiges Drängen, Zusammenfliessen, Abwärtsfliessen, Mischungen, Drehungen, Fallen, Hochschnellen, Zerfressen der Dämme, Trübungen…

Projektidee

Von der Kehrrichtdeponie zum arkadischen Emmestrand

Welch beglückende Vorstellung, einen Unort in einen arkadischen Flussab-schnitt verwandeln zu können, der zum Verweilen einlädt und der zu einem Ort des Da-Seins werden kann.
«Arkadien ist eine jahrhundertealte ästhetische Utopie. Sie fordert uns noch heute auf, einen sinnlichen Blick auf unsere hochfunktionalen Schweizer
Landschaften zu werfen.»


Das ist der Antrieb für meine Konzeptidee:
Als Landartkünstler möchte ich bei diesem Projekt nicht einfach Natur imitieren und eine pragmatische Renaturisierung anstreben. Mit natürlichen Elementen wie Geröll, Steine, Pflanzen und Wasser erzähle ich gestalterisch Geschichten zur Landschaft, die Imaginationen hervorrufen und zum Nachdenken anregen. Ich nenne sie Landschaftszitate.

Landschaftszitat 1: Insel und See
Der kraftvolle Ordnungssinn des Wassers wird durch Ablagerungen in Form von Kiesbänken, Sand und Stillgewässer erkennbar gemacht.

Landschaftszitat 2: Schwarzpappeln
In der neu gestalteten Aue werden sich natürlicherweise wieder auentypische Pflanzen ansiedeln. Im Uferbereich setze ich mit einer Schwarzpappelreihe einen Akzent in die flache Wasserämter-Landschaft.

Landschaftszitat 3: Granitblöcke
Die faszinierende Langsamkeit des gefrorenen Wasserflusses des Rhonegletschers brachte Granitblöcke aus dem Mont Blanc Massiv bis an die Emmenmündung. Eine Erinnerung an die Eiszeit wird neu inszeniert.

Verortung
Im Gebiet der ausgeräumten Deponie am Schwarzweg entsteht Raum für einen landschaftsgestaltenden Eingriff. Folgende Rahmenbedingungen haben meine Projektidee an diesem Standort geprägt:

  • Das Gebiet ist als Erlebniszone eingestuft und steht dem interessierten Publikum zur Verfügung.
  • Es wurde temporär gerodet, d.h. in diesem Gebiet wird sich wieder Wald bilden.
  • Die Entwässerung des Eisfeld-Baches erfolgt hier in die Emme.

Die Zeichnung und Pläne (Übersicht und Querschnitt) ab Seite 6 veranschaulichen die Anordnung von Insel mit Granitblöcken, einem Stillgewässer und einer Baumreihe von Schwarzpappeln. Die Gesamtheit soll eine begehbare und inspirierende neue Landschaft schaffen.

Landschaftszitat: Insel und See

Variante 1
Mit dem vorhandenen Flussgeschiebe wird ein mehrere Meter hoher Wall als Insel im Fluss geformt (s. Übersichtsplan grün umrandet) und so in der Strömungsrichtung platziert, dass er bei Hochwasser nicht wegerodiert wird.
Die künstlich geschaffene Insel wird mit artenreichen Wildblumenmischungen bepflanzt und ist Teil eines sich begrünenden Biotops. Durch jährliches Mähen soll ein Verwalden verhindert werden. Ein Steinensemble von markanten Granitblöcken prägen diesen vom Wasser umgebenen Ort (siehe Seite 5: 3. Landschaftszitat). Die Insel wird so gebaut, dass sie auch bei Hochwasser nicht überschwemmt wird.
Im Uferbereich nahe der Geröllinsel wird ein kleiner See als Stillgewässer ausgehoben (Übersichtsplan: blau eingezeichnet). Gespiesen wird er durch den nahen Eisfeld-Bach und durch Meteorwasser.
Bei hohem Wasserstand soll die Emme einen Nebenarm bilden können, dessen Flussbett Teil der gestalteten Auenlandschaft wird.
Im Bereich von Insel und See lassen sich Erosion und Ablagerung beobachten und dokumentieren. Das Wasser soll hier seine gestalterische Kraft entfalten können.

Variante 2
Mein zweiter Vorschlag ist dem ersten ähnlich. Der grosse Insel-Wall ist in drei Einheiten unterteilt und das Stillgewässer ist kleiner geplant. Auch bei dieser Projektvariante werden die Inseln so gebaut, dass sie bei Hochwasser nicht überschwemmt werden.
Die Vorstellung der sehr unterschiedlichen Wasserniveaus der Emme ist schwierig und muss mit den verantwortlichen Fachleuten abgesprochen werden.

Stillgewässer

2. Landschaftszitat: Eine Reihe Schwarzpappeln

Wie ein riesiger Pflanzenvorhang grenzt auf einer Länge von 1.2 km eine Pappelreihe den neu gestalteten Emmenstrand optisch vom Umfeld ab.

Die Schwarzpappel (Populus nigra) wird ausgewachsen zu einem hohen und eleganten Baum, der durch seine Mächtigkeit einen reizvollen Akzent in die flache Wasserämter Landschaft setzt. Die markante Baumreihe soll zum Symbol für das Hochwasserschutzprojekt heranwachsen.
Nebst der optischen Schönheit ist die Pappel auch akustisch ein spezieller Baum; zittern seine kleinen Blätter doch beim feinsten Windstoss und machen so den Wind hörbar.

Einst von Napoleon in grosser Zahl als Alleebaum an den Heerstrassen gepflanzt ist die Pappel heute eher seltener zu sehen. Sie wurde früher oft an Fluss- und Seeufern als Gestaltungselement eingesetzt.

Für die Revitalisierung und Uferrenaturierung der Emme im Bereich der geplanten Uferböschung (Übersichtsplan: grüne Punkte) sehe ich die Auspflanzung von ca. 80-100 jungen Schwarzpappeln mit einem Reihenabstand von 5 bis 7 Metern vor.

Pappelreihe bei Dotzigen

3. Landschaftszitat: Granitblöcke aus dem Montblancmassiv

Während der letzten Eiszeit, die vor rund 15’000 Jahren zu Ende ging, transportierte der Rhonegletscher auch Granitblöcke aus dem Aletschgebiet bis ins Mündungsgebiet der Emme. Der harte und dauerhafte Granit fand als begehrter Baustoff vielseitige Verwendung. Diese erdgeschichtlichen Zeugen drohten zu verschwinden. Um der Zerstörung der Findlinge Einhalt zu gebieten, stellte der Regierungsrat des Kantons Solothurn diese 1971 unter staatlichen Schutz. Wenn uns heute auf Kantonsgebiet ein Findling begegnet, ist er mit einer Metalltafel versehen:

Die schönen und auffallenden Gesteinsbrocken faszinierten die Menschen in unserer Landschaft schon vor unserer Zeitrechnung. Sie wurden als Schalensteine oder kultische Rutschsteine verehrt.

In die neu gestaltete Flusslandschaft setze ich ein Ensemble von Granitsteinen aus dem Steinbruch von Orsières VS. Die Abbaustelle ist in der Gletschermoräne, wo Kies und auch grössere Findlinge abgebaut werden (auf der Planskizze rot eingezeichnet). Die Wanderung des Steins vom Wallis an die Emme dauerte auf dem Rücken des Gletschers etwa 5000 Jahre, während der Transport per Lastwagen dies in ungefähr fünf Stunden schaffen wird.

Ähnlich den staatlich geschützten Findlingen kennzeichne ich die Granitblöcke mit einer kleinen Metalltafel: Granit aus dem Aletschgebiet – auf dem Rücken des Gletschers während 5000 Jahren, per LKW in 5 Stunden angekommen.

Granitblöcke
Querschnitt
Variante 2 Legende: grüne Punkte = Pappelreihe im Uferbereich grüne umrandete Insel/n = bepflanzte/r Geröllwall/e rote Markierungen auf Insel/n = Granitblöcke blau markierte Fläche = Stillgewässer

Schlussbetrachtung

«Wer einen Schauplatz gesehen, wo die Elemente ungezähmt wüteten, wird ihn nie vergessen, aber auch nie darstellen können.»
Jeremias Gotthelf

Der Landschaftsabschnitt in der ehemaligen Schwarzweg-Deponie wird durch Menschenhand neu gestaltet. Dabei werden die künstlich gebauten Teile so arrangiert, dass sie dem dynamischen Prozess des Flusses standhalten und ihm aber genug Spielraum für Veränderungen lassen.

Mit meinen Landschaftszitaten inszeniere ich Landschaft, die sich nahtlos in die Flusslandschaft der Emme einfügt. Erst beim genaueren Hinsehen und Erleben werden die Landschaftszitate ihre Geschichte sinnlich erzählen:
Nach dem Bad im klaren Stillgewässer wärmt man sich auf den warmen Granitsteinen wieder auf, steigt auf den höchsten Punkt der Geröllinsel und geniesst die freie Sicht auf die Flusslandschaft.

Eine lange Reihe mit (dereinst mächtigen) Schwarzpappeln verdeckt das besiedelte Gebiet und setzt einen markanten Akzent im neu gestalteten Uferbereich.

Hier entsteht ein Naturerholungsgebiet mit hohem Erlebniswert, dass sich durch die Dynamik der Emme immer wieder verändern wird. Durch seine wilde Ursprünglichkeit hebt sich das hier gestaltete Naturgebiet ab von Freizeitparklandschaften mit den gewohnten Konsumangeboten.
Möge das Zitat aus der Erzählung «Wassernot im Emmental» von Jeremias Gotthelf dank den Bemühungen der Hochwasserschutzmassnahmen endgültig der Vergangenheit angehören. Obwohl ein Neuanfang nach der Katastrophe heilsam sein kann.

4. Mai 2019:

Am Tag der offenen Baustelle präsentierte Ulrich Studer sein Emme-Projekt: Die ersten 25 Pappeln wurden durch die BesucherInnen eingepflanzt, allen voran durch den Künstler selber.



Abschnitt Renaturierung Emme; Foto Luftaufnahme: Thomas Batschelet

Zeitungsartikel Schweiz am Wochenende,
13. 10. 2018

Schweiz am Wochende, 13. Oktober 2018

Von der Deponie zum Kulturraum
Die Emme bei Biberist und Derendingen wird zurzeit renaturiert. Die beiden Kunstschaffenden Ulrich Studer und Jan Hostettler werden sich mit ihrer «Landart»-Kunst am Projekt beteiligen

VON LARA ENGGIST

Die Emme bei Biberist, Derendingen und Zuchwil wird zurzeit hochwassersicher ausgebaut und revitalisiert. Das Amt für Umwelt hat zusammen mit dem Amt für Kultur und Sport beschlossen, dass ein Ideenwettbewerb für ein Kunstprojekt ausgeschrieben werden soll. Dass man ein grosses Wasserbau- mit einem Kunstprojekt verbindet, hat es im Kanton Solothurn noch nie gegeben.
«Diese heute eher funktionale, von der Industrie geprägte Landschaft, durchflossen von einem mystischen Fluss, ruft geradezu nach einer künstlerischen Intervention», sagt Martin Würsten, Chef des Amts für Umwelt.

Natur und Mensch als Gestalter

Für ein Kunstprojekt braucht es Künstler. Deshalb veranstaltete das Amt für Umwelt im Frühjahr den Wettbewerb «Kunst an der Emme», zu dem fünf Kunstschaffende eingeladen wurden, Entwürfe ihrer Projekte vorzustellen. Das Hauptthema sei das jahrtausendelange Zusammenwirken der Naturgewalten und des durch Menschenhand beeinflussten Landschafts- und Siedlungsgebiets. Eingeladen wurden der Landart-Künstler Ulrich Studer aus Rüttenen, Jan Hostettler aus Basel, Carlo Bohrer aus Oberbipp, Sonya Friedrich aus Solothurn und Fraenzi Neuhaus aus Solothurn. In der siebenköpfigen Jury sassen vom Amt für Umwelt neben Martin Würsten auch Martin Brehmer und Gabriel Zenklusen. Die künstlerischen Aspekte bewerteten der Kunstschaffende Reto Emch und Claudine Metzger vom Kunsthaus in Grenchen. Weiter sassen Ron Hunziker vom Ingenieurbüro Zarn und Partner AG in Aarau und Claude Barbey, Architekt aus Grenchen, in der Jury.

Die Mitglieder hatten sich nach mehreren Besprechungen im April und Mai für zwei der fünf Projekte entschieden und stellten diese nun dem Lenkungsausschuss Emme und der Begleitgruppe vor.

Die Landschaft neu beschreiben

Ausgewählt wurden die Projekte von UIrich Studer und Jan Hostettler. Das grössere und umfangreichere Projekt ist jenes von Ulrich Studer: «Von der Kehrichtdeponie zum arkadischen Emmestrand».

Studer nennt seine drei Teilprojekte Landschaftszitate. Das erste ist eine mehrere Meter hohe Insel mit Wildblumen, welche auch bei Hochwasser nicht von der Emme weggespült werden kann. Daneben werde ein kleiner See entstehen. Zudem soll die Emme bei Hochwasser einen Nebenarm bilden können, dessen Flussbett Teil einer Auenlandschaft werden soll.

Das zweite Zitat ist ein aus 80 bis 100 Schwarzpappeln bestehender «Pflanzenvorhang». Dieser soll den Emmestrand optisch vom Umfeld abgrenzen und den Eingang zum Naherholungsgebiet darstellen, so Ulrich Studer. Im dritten Zitat will er Granitblöcke aus dem Aletschgebiet in die Flusslandschaft einbetten. Während der Eiszeit habe die Reise dieser Steine ins Emmegebiet auf dem Rücken des Gletschers 5000 Jahre gedauert. Heute dauert der Transport per Lastwagen fünf Stunden – Studer will mit diesem «Reisezeit»-Vergleich zum Nachdenken anregen.

Der Künstler ist schon jetzt Feuer und Flamme für das Projekt. «Ich will eine Art arkadische Ideallandschaft gestalten», so Studer. Der Mensch sei übermächtig geworden und werde im Projekt wieder etwas zurückgedrängt – dennoch sei er in dieser Welt erwünscht. «Der Hauptakteur ist aber klar die Emme».
Laut Jurybericht besticht dieses Projekt durch die Absicht, die Landschaft «dauerhaft neu zu beschreiben». Zudem wolle Ulrich Studer historische Aspekte der Landschaftsveränderung und die Wirkung des Wassers sichtbar machen. Es sei ein Landart-Projekt im wahrsten Sinne des Wortes und zudem technisch und finanziell innerhalb des vorgegebenen Rahmens umsetzbar. Es entspreche voll den Erwartungen des Wettbewerbs.

Altes und Unnützes neu entdecken
Jan Hostettlers Projekt ist nicht ganz so umfassend: Er will lediglich die beiden Pfeiler der im Jahre 1857 erbauten Eisenbahnbrücke in Derendingen in Schwemmzonen der Emme versetzen.

«Mir gefällt der historische Aspekt dieses Projekts», so der Künstler. Laut den Plänen zum Hochwasserschutz wären die Pfeiler abgerissen worden – mit der De-platzierung will Hostettler sie als Ruinen, als Zeugen der Zeit, freistellen. «Ich finde es lustig, dass bei dieser Renaturierung genau bestimmt wird, wo jeder Busch hinkommt. Die Natur wird bis ins letzte Detail geplant.» Das Projekt soll – ohne zu belehren – über Industrialisierung und über die Eroberung des Raumes nachdenken lassen. Alt und unnütz Gewordenes soll wieder verwendet werden – zum Beispiel als Picknickplatz oder als Ort zum Nachdenken.

Auch die Projekte der drei anderen Künstler wurden von der Jury als «originell» und «sorgfältig ausgearbeitet» bezeichnet. Gegen die beiden «Gewinner» verloren sie entweder aufgrund der zu hohen Kosten, zu umständlichen Bewilligungsverfahren oder des fehlenden Bezugs zur Emme.

Die beiden Projekte von Ulrich Studer und Jan Hostettler seien gut miteinander kombinierbar, sagt Martin Würsten. Sie müssen aber noch durch den Regierungsrat genehmigt werden. «Zudem werden sie weiter konkretisiert, damit Ulrich Studers Konzept im Bepflanzungs- und Unterhaltskonzept aufgenommen und Jan Hostettlers Projekt in einem Baubewilligungsverfahren genehmigt werden kann», sagt Würsten. Läuft alles nach Plan, können die Künstler 2019 bis 2020 mit der Umsetzung der Projekte beginnen.

«Diese heute eher funktionale Landschaft, durchflossen von einem beinahe mystischen Fluss, ruft geradezu nach einer künstlerischen Intervention.»
MARTIN WÜRSTEN CHEF AMT FÜR UMWELT